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„Who are you when nobody´s watchin´?“, steht mit schwarzem Edding auf weißer Wand geschrieben. „Wer bist Du, wenn keiner hinguckt?“
Manchmal gibt Kunst nicht fertige Antworten, sondern stellt die richtigen Fragen – das habe ich von meinem Besuch der „documenta fifteen“ in Kassel mitgenommen.
Dort gibt es mehrere riesige Flächen in den Ausstellungs-Locations, auf denen man als Besucher mitgestalten kann. Kunst im Kollektiv sozusagen. Kunst im Entstehen, Sich-Entwickeln und zum Weiterdenken. Und diese eine Frage – von wem auch immer beigetragen – bringt Überlegungen in Schwingen: „Wer bist Du, wenn keiner hinguckt?“
„Derselbe, wie sonst auch!“, wäre eine schnelle Antwort. Aber wie die Kunst vom Auge des Betrachters abhängt, hänge ich als Person vielleicht auch mehr davon ab als mir lieb ist. Ein „Kunstwerk“ bin ich gewissermaßen ja auch: Als Christ glaube ich jedenfalls an meinen kreativen Schöpfer.
Aber manches ist eben auch schnell künstlich. Zum Beispiel gucken, die meisten anders als sonst, wenn sie fotografiert werden oder für einen Selfie „posen“. Viele ziehen sich konform an, wenn es sein muss: an der Arbeit oder in der Öffentlichkeit. Mancher gibt sich eloquent, kunstbeflissen oder weltmännisch – je nach Situation: Oder genauer: je nach Publikum.
Und selbst in den Urlaubszeiten werden nicht einfach alle Viere von sich gestreckt. Mit Statusbilder wird inszeniert, was das Zeug hält: „So bin ich. So geht´s mir gerade. Guckt mal hier!“
„Wer bist Du, wenn keiner hinguckt?“ – wer bist Du „unplugged“, ohne Verstärkung durch jedwede Technik, die Dich gut anzukommen lässt?
Bin ich dann zufrieden? Kann ich was mit mir anfangen? Ungeschminkt. Unabhängig von Applaus, Anerkennung und allem In-Szene-Setzen?
„Einer guckt immer hin!“, raunt mir ein Mitbesucher der documenta über die Schulter und macht eine Geste Richtung Himmel. Zum Glück nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit einem Lächeln. Denn es geht bei Gott nicht um „Big brother is watchin´ you!“
Als Christ vertraue ich, im guten Sinn angesehen zu sein. Und es zu bleiben – und das von höchster Stelle. Das bin ich. Und deshalb will ich´s einüben: Ein Leben ohne Druck, irgendwie sein zu müssen oder zu sollen. Eine große Kunstfertigkeit!

Mit herzlichem Gruß,

Dekan Norbert Mecke, Ev. Kirchenkreis Schwalm-Eder, Melsungen